Wir sind auf der Suche nach Farbklängen, genauer gesagt dem Klang der Farbe Rot. In unserem letzten Artikel haben wir euch verraten, wie wir auf die Idee gekommen sind und welche ganz unterschiedliche Assoziationen wir zur Farbe haben. Hier gibt es nun einen genaueren Einblick in unser Programm.
Rot – Liebe und Lust
In der griechischen Mythologie liegt der Ursprung der roten Rosen bei Aphrodite, die mit ihrem Blut eine weiße Rose rot färbte: Ihr Geliebter, Adonis, wurde bei der Jagd durch einen Eber tödlich verwundet. Aphrodite versuchte vergeblich, ihm zur Hilfe zu eilen und verletzte sich dabei an den Dornen einer weißen Rose. Die vom Blut der Liebesgöttin auf diese Weise rot gefärbte Blume ist seitdem Symbol für die wahre Liebe.
Während Robert Burns‘ Gedicht O, my Luve’s like a red, red Rose (vertont von David C. Dickau) das Bild der Rose noch auf recht konventionelle Weise verwendet, begegnen uns in den folgenden zwei Stücken aus dem Zyklus Now sleeps the Crimson Petal von Paul Mealor reichere Assoziationen. Das für den ganzen Zyklus namensgebende Gedicht von Alfred Tennyson – das übrigens ein Auszug aus dem viel längeren Gedicht mit dem Titel The Princess ist – entspricht freilich dem, was man von “schöner” Lyrik des 19. Jahrhunderts erwartet: Blütenblätter, Pfauen, Glühwürmchen, Seelilien sind reichlich vertreten. Aber unter der viktorianischen Prüderie brodelt es mächtig: Zieht der Sprecher nicht vielleicht eine Parallele zwischen den nächtlichen Machenschaften der Geschöpfe und seinem eigenen Verlangen, das sich schon daran zeigt, dass jede Strophe mit dem Wort now, also jetzt, beginnt und dem Wort me, also ich, aufhört?
Rot – Gefahr
Rot ist natürlich auch die Farbe des Feuers, jenes Elements, das uns einerseits Wärme und Komfort schenkt (man denke an die rote Farbe am Wasserhahn), von dem aber auch nach wie vor existentielle Bedrohung ausgeht. Während wir heute Feuersbrünsten mit Technologie zu begegnen versuchen, hatten unsere Vorfahren ein vom Übernatürlichen geprägtes Verständnis solcher Katastrophen.
Wer ist also eigentlich der Feuerreiter? Mörike selbst schreibt im Maler Nolten: „In der Lohgasse, wenn sie den Herren bekannt ist, wo noch zwei Reihen der urältesten Gebäude unserer Stadt stehen, sieht man ein kleines Haus, schmal und spitz und neuerdings ganz baufällig; es ist die Werkstatt eines Schlossers. Im obersten Teile desselben soll aber ehemals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, dessen Lebensweise niemanden näher bekannt gewesen, der sich auch niemals blicken lassen, außer jedesmal vor dem Ausbruche einer Feuerbrunst. Da sah man ihn in einer scharlachroten, netzartigen Mütze, welche ihm gar wundersam zu seinem todbleichen Gesichte stand, unruhig am kleinen Fenster auf und ab schreiten, zum sichersten Vorzeichen, dass das Unglück nahe bevorstehe. Eh noch der erste Feuerlärm entstand, eh ein Mensch wußte, daß es wo brenne, kam er auf seinem mageren Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt und wie der Satan davongejagt, unfehlbar nach dem Orte des Brandes hin, als hätt ers im Geist gefühlt.“ Hugo Distlers Vertonung der Ballade vom Feuerreiter ist einer der Höhepunkte der Chorliteratur des zwanzigsten Jahrhunders.
Rot – (Un)schuld und Hoffnung
Die strahlendste Farbe ist wohl Rot. Aber auch Anderes strahlt – zum Beispiel ein lachender (roter!) Kindermund. William Blakes Songs of Innocence (Lieder von der Unschuld) sind eine Sammlung solch unbeschwerter, harmonischer, bisweilen naiver, aber immer im besten Sinne kindlicher Gedichte. Diese paradiesische Welt hat der Dichter nicht nur in Worten beschrieben, sondern auch selbst illustriert, und in der ersten Ausgabe der Gedichte von 1789 findet man den Text des Laughing Song, den Torbjørn Dyrud 2011 vertonte, auf der bunten Seite im folgenden Bild.
Aus dem Text des Laughing Song spricht natürlich auch eine Hoffnung, ein Wunsch nach der einfacheren, wirklich heilen, Welt. Tatsächlich haben die Songs of Innocence auch einen Gegenpart, die Songs of Experience (Lieder von der Erfahrung).
Der Wunsch nach Erlösung spricht auch aus O radiant Dawn von James MacMillan. “Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell” – Diese Verheißung Jesajas wird dem Bild eines gleißenden Sonnenaufgangs gegenübergestellt.
Die Hoffnung auf Erlösung ist in dem Gedicht Tenebrae von Paul Celan schon lange verlöscht. Zwar rückt der Text das Leiden der Juden im Holocaust sprachlich in die Nähe der Kreuzigung, aber beide werden nicht gleichgesetzt: Der Tod der Juden ist keine Sühne für die Sünden der Welt, noch hat Jesu Tod am Kreuz den Holocaust vorweggenommen. Der am Ende fast jeder Zeile angerufene „Herr“ wird aufgefordert: „Bete, Herr / bete zu uns, wir sind nah.“ Auf die Frage, ob es nicht widersinnig sei, Gott zum Beten aufzufordern, soll Celan die Gegenfrage gestellt haben, ob der Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ Jesu am Kreuz (Mt 26,46) kein Gebet Gottes gewesen sei. Der Leipziger Komponist Marcus Ludwig hat für diesen Text eine eindrückliche Klangsprache gefunden.
Rot – Dürre
Einen sehr dringenden Wunsch hat das Stück Pula, Pula! zum Gegenstand: Es trägt den Untertitel “ein Gebet für Regen”. Das Stück ist ein Teil der Musicals Naledi, an African Journey, das die Geschichte von Naledi erzählt, die als Morgen- und Abendstern den Völkern der Welt den göttlichen Funken der Wahrheit bringen, aber auch ihre persönlichen Herausforderungen bestehen muss.
Unseren letzten Beitrag schmückte ein Foto, das auf den ersten Blick wie ein abstraktes Gemälde erscheint: Inmitten einer bunten Palette von Orange- und Rottönen winden sich unförmige, leuchtend türkise, Tropfen. Was sich dahinter verbirgt, verrät Luke Byrne in Desert Sea. Der Kati-Thanda oder Lake Eyre ist ein See in der Wüste Südaustraliens, der die Farbe Rot eindrucksvoll in den Trockenperioden zur Schau stellt, wenn sein Salzwasser eine der Mondlandschaft ähnlichen Dürre hinterlässt. Mit dem Wasser als Lebensgrundlage verlassen auch die meisten Tiere das Eyre-Becken, und kehren erst in der nächsten Regenzeit mit dem Wasser zurück. Dann schimmern im Sonnenlicht durch den besonderen Mineralgehalt des Bodens unbeschreibliche Farben an der Oberfläche des Sees. Nur etwa viermal im Jahrhundert ist der See vollständig gefüllt.
Eindrucksvoll beschreibt Byrnes Komposition den Herzschlag des mystischen Ortes, zwischen illusorischen Luftspiegelungen in der Dürrezeit und explodierendem Leben bei der Rückkehr des Wassers, mit schillernden Farben und zwitschernden Rosenohrenten und Peitschenvögeln.
Rot – Kampf
Das Stück Advance Democracy, von Benjamin Britten 1938 zu einem Text des kommunistischen Dichters Randall Swingler verfasst, hat keine Aktualität verloren. Der Anlass damals war das Münchener Abkommen (geschlossen zwischen zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien), in dem bestimmt wurde, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an das Deutsche Reich abzutreten habe. Britten und Swingler sahen sich zu einem Weckruf an das demokratische Europa genötigt: “Zeit, aufzuwachen, Demokratie” heißt es am Wendepunkt des Stückes.
Programm
O, my Luve's like a red, red Rose David C. Dickau Now sleeps the crimson Petal Upon a Bank with Roses set about aus: Now sleeps the crimson Petal - For Madrigals on Rose Texts Paul Mealor Der Feuerreiter Hugo Distler Laughing Song Torbjørn Dyrud O radiant Dawn James MacMillan Tenebrae Marcus Ludwig Pula, Pula! aus: Naledi - an African Journey Franco Prinsloo Desert Sea Luke Byrne Shenandoah James Erb Advance Democracy Benjamin Britten Abendlied Josef Gabriel Rheinberger Foto: Pexels / Dids